Energiespektrum der kosmischen Strahlung (Quelle: HAP / A. Chantelauze) |
Kosmische Strahlen sind sehr energiereiche geladene Partikel, die wie ein steter Regen aus dem Weltraum auf unsere Atmosphäre treffen. Bei diesen Teilchen handelt es sich gewöhnlich um Wasserstoff- oder Heliumkerne, aber es können auch Kerne schwererer Elemente sein. Wenn ein solches energiereiches Teilchen die Erdatmosphäre trifft, erzeugt es eine Kaskade von weniger energiereichen Sekundärpartikeln, die sich am Boden beobachten lassen.
Vor über einem Jahrhundert entdeckte der österreichische Physiker Victor Hess die kosmische Strahlung bei Messungen auf Ballonfahrten. Er fand dabei einen signifikanten Anstieg einer geladenen Strahlung mit der Höhe. Diese Erscheinung führte er ganz richtig auf damals noch unbekannte durchdringende Strahlung aus dem Weltraum zurück. 1938 wies Pierre Auger die Existenz umfangreicher Luftschauer - Kaskaden von sekundären Elementarteilchen - nach, die durch Primärteilchen mit Energien über 1015 eV ausgelöst wurden. Er beobachtete das gleichzeitige Eintreffen von Sekundärteilchen, die über eine große Fläche bis zu mehreren hundert Metern verteilt waren. Moderne Nachweisgeräte zeigen ein Energiespektrum der kosmischen Strahlung, das bis 1020 eV und darüber hinaus reicht, also hundertmillionenmal so hoch ist wie die von Beschleunigern auf der Erde erzielbare Energie.
Das steil abfallende Spektrum der kosmischen Strahlung umfasst in seiner Stärke über 32 Zehnerpotenzen. Bei 100 GeV (1 GeV = 109 eV = tausend Millionen Elektronenvolt) trifft ein Teilchen pro Quadratmeter pro Sekunde die Atmosphäre. Bei einer Million GeV ist es nur ein Teilchen pro Quadratmeter pro Jahr. Und um eines dieser zehn Milliarden GeV-Geschosse pro Jahr zu erwischen, braucht man einen ganzen Quadratkilometer!
Teilchen kosmischer Strahlung von niedrigerer Energie (bis zu einigen Millionen GeV), die auf die Erde treffen, stammen aus unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße. Sie können direkt oder indirekt aus den Stoßfronten von Supernova-Explosionen herrühren. Bei diesen Explosionen werden schnell bewegte Magnetfelder ausgeschleudert, das die geladenen Teilchen beschleunigt. Die Kerne von kosmischer Strahlung nehmen beim Zusammenstoß mit einem solchen bewegten Reflektor Energie auf. Bei einem magnetischen Stoß, der das Magnetfeld abrupt abbremst, können Teilchen zwischen zwei Reflektoren gefangen werden. Wie ein Tischtennisball zwischen zwei zusammentreffenden Schlägern durchlaufen die Kerne verschiedene Reflexionen und nehmen bei jeder Reflexion mehr Energie auf. Diesen Prozess hat man auch bei magnetischen Stößen im Sonnenwind beobachtet, der von unserer Sonne ausgeht und kosmische Strahlen von bescheidener Energie erzeugt. Die bei Supernova-Explosionen entstehenden stärkeren bewegten Magnetfelder können die Energie für kosmische Strahlen galaktischen Ursprungs bis zum sogenannten Knie des Spektrums liefern.
Radiowellenemissionen und Röntgenstrahlen liefern unmittelbar Beweise dafür, dass diese Fronten Elektronen fast bis auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigen. Dass hochenergetische Kerne, also die Hauptbestandteile der kosmischen Strahlung, denselben Ursprung aufweisen, lässt sich allerdings nur indirekt beweisen und muss noch bestätigt werden. Selbst die stärksten beobachteten galaktischen Magnetfelder reichen nicht aus, die kosmischen Strahlen auf die höchsten gemessenen Energien zu beschleunigen. Die kosmische Strahlung liefert klare Beweise dafür, dass etwas sehr Energiereiches im Universum vor sich geht. Die Frage ist nur, wo?
Zur Teilchenforschung in der Astrophysik wird das Universum mit hochenergetischen Neutrinos und Gammastrahlen untersucht (Quelle: HAP / A. Chantelauze) |
Aus den bisherigen Messungen gewonnene Erkenntnisse unterstützen die Ansicht, dass kosmische Strahlen mit Energien über 3 x 1018 eV außerhalb unserer Milchstraße entstehen. Da sie elektrisch geladen sind, krümmen sich ihre Bahnen auf dem Weg durch kosmische Magnetfelder. Ihre Ankunftsrichtung weist daher nicht auf ihren Ursprung zurück. Das tritt nur bei den allerhöchsten Energien ein, wenn die Ablenkung schwach wird. Daher ist klar, dass sie nicht hauptsächlich aus der Scheibe oder dem Zentrum der Milchstraße stammen können. Das weist stark auf einen extragalaktischen Ursprung hin. Obwohl wir bisher keine Quellen im Kosmos nachweisen können, die solche Energien zu erzeugen vermögen, gibt es doch einige Hypothesen. Dazu gehören die sogenannten Hot Spots in Radiogalaxien und Materiestrahlen (Jets) von aktiven galaktischen Kernen (AGN).
Zum Glück sollen die vermuteten Quellen auch ungeladene Teilchen als Nebenprodukte aussenden, die sich geradlinig fortbewegen: Gammastrahlen und Neutrinos. Tatsächlich hat man Gammastrahlen mit Energien bis zu hunderttausend GeV aus einer Vielzahl von Quellen beobachtet. In den meisten Fällen ist jedoch nicht klar, ob sie bei hochenergetischen Wechselwirkungen von Protonen mit der Materie in der Umgebung entstehen oder von Elektronen abgestrahlt werden. Hier könnte eventuell der Nachweis von Neutrinos helfen: sie können nur in Prozessen entstehen, bei denen Protonen und Kerne mitwirken.
Ins Universum und weiter
H.E.S.S. ist ein System von bildgebenden atmosphärischen Cherenkov-Teleskopen, mit dem die kosmische Gammastrahlung im Energiebereich von 100 GeV bis 100 TeV untersucht wird (Quelle: DESY) |
Im letzten Jahrzehnt ist als neues Fachgebiet die Astronomie der Gammastrahlen von sehr hoher Energie (VHE) entstanden, wobei die Sensitivität der astronomischen Instrumente bezüglich der Wellenlänge um zehn Dekaden in Richtung auf die Strahlung höchster Energie erweitert worden ist. Diese Gammastrahlen entstehen, wenn kosmische Strahlen von hoher Energie mit interstellarem Gas zusammenstoßen. Im Gegensatz zu geladenen kosmischen Strahlen bewegen sich Gammastrahlen geradlinig und weisen auf die Stelle am Himmel zurück, an der sie entstanden sind. Dabei dienen sie nicht nur als Indikatoren für kosmische Strahlung; es wird auch spekuliert, dass einige Gammastrahlen sehr hoher Energie von Zerfällen bestimmter Teilchen herrühren, die den Urknall überlebt haben, wie etwa die geheimnisvollen Teilchen der dunklen Materie. Der Nachweis solcher Gammastrahlen würde die ersten Hinweise auf die Beschaffenheit der dunklen Materie liefern.
Die VHE-Gammastrahlenastronomie wird allmählich Teil der klassischen Astronomie, und Untersuchungen der Galaxie ergeben Dutzende von VHE-Gammastrahlen, die von Beschleunigern kosmischer Strahlung ausgehen. Zu den nachgewiesenen Objekten gehören Reste von Supernovae, Doppelsterne, Pulsare, Sternhaufen und verschiedene Arten aktiver Galaxien, die in der Mitte supermassive schwarze Löcher aufweisen. Das Geheimnis der kosmischen Strahlung wird nur durch die Kombination von Detektoren für energiereiche Gammastrahlen, Neutrinos und geladene kosmische Strahlen gelöst werden.